Donnerstag, 3. September 2009

Verfassungsschutz und RAF

Verfassungsschutz
Zahlte er 100 000 DM an RAF-Terroristin Becker?
so schlagzeilte BILD-de am 2.9. um 10:57Uhr.
Und: 32 Jahre nach dem Anschlag berichtet erstmals ein ehemaliger Verfassungsschützer über die konspirativen Kontakte zwischen der RAF-Terroristin und dem Bundesamt für Verfassungsschutz.
Am Abend bestätigte dann das deutsche Innenministerium diese Zusammenarbeit.

32 Jahre mußte also der ge-BILD-ete Leser warten, um das zu erfahren, was wir vom Schönen Fall ,wie alle, die sich auch nur ein wenig mit der jüngsten Geschichte der Bunten Republik Deutschland beschäftigen, schon seit Jahrzehnten wissen.
Ja, haargenau zu jener Zeit als die BILD-Zeitung ihre erfolgreiche Rufmordkampagne gegen Rudi Dutschke führte, anfang 1968 begann der Verfassungsschutz seine Pläne zur Gründung einer Roten Armee Fraktion umzusetzen.
Drei Ereignisse treffen in diesem Frühjahr 1968 unmittelbar zusammen: Am 2.April legte der Großstadtcowboy Andreas Baader zusammen mit drei anderen frustrierten Gutbürgerkindern Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäusern, angeblich um damit gegen den Vietnam-Krieg zu protestieren. Am 11.April wird der Frieden-um-jeden-Preis-Apostel der APO Rudi Dutschke mittels Attentat außer Gefecht gesetzt. Am 30.Mai werden die Notstandsgesetze noch immer unter heftigsten Protesten vor allem seitens der APO verabschiedet.
Zufall? Oder gibt es zwischen diesen drei Ereignissen einen Zusammenhang?
Die Pläne zur Notstandsgesetzgebung gingen bis in die 50er Jahre zurück, scheiterten aber am Widerstand nicht nur der APO sondern großer Teile der Bevölkerung, die Hitlers Ermächtigungsgesetz assoziierten. Daß die Brandstiftung vom 2.April, die von den Interessenvertretern der Notstandsgesetzgebung zum Terrorakt hochgespielt wurde, die schnell darauf folgende Verabschiedung der Gesetze ermöglichte, wird selbst in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht verheimlicht.
Wer oder was aber stand wirklich hinter den Brandanschlägen der Großstadtcowboys, die sich später gern Stadtguerilla nannten?
Ohne den Ereignissen vom 2.Juni 1967 und die Reaktion der Bunten Republik Deutschland darauf hätte es wohl nie eine RAF gegeben.* Während an diesem Tage des damals der BILD-Zeitung liebsten Kind, der sogenannte Schah von Persien, in der berliner Deutschen Oper bei der Zauberflöte saß und mit Sicherheit nichts von Mozart verstand, prügelten auf den Straßen davor bundesdeutsche Polizisten mit bis dato nicht gekannter Brutalität die Demonstranten gegen den Henker von Teheran nieder. Einem der friedlichen Demonstranten, Benno Ohnesorg, wurde plötzlich von einen offenbar was auch immer gewordenen Polizisten aus kürzester Distanz in den Hinterkopf geschossen.
Ein ehemaliger DKP-Funktionär und ansonsten stets friedensbewegter Tatzeuge berichtet: Die Stimmung danach war so, daß ich stundenlang noch mit meiner Ente durch die Stadt raste und Polizisten suchte, die ich hätte überfahren können... - Am nächsten Tag kam es innerhalb der APO zu einer Krisensitzung, bei der wohl ein heute recht bekannter Neo-Nazi zuerst zur Bewaffnung der APO aufrief - und vorerst nahm nur ein geringer Teil der Anwesenden ihn ernst. Die meisten folgten noch der Maxime Rudi Dutschkes des gewaltfreien Widerstandes um jeden Preis.
Der November '67 zog ins Land und mit ihm kam der Freispruch des Ohnesorg Mörders K.-H. Kurras.** Das war letztlich auch ein K.O.-Schlag für Leute wie Dutschke, die ja nicht zuletzt den Staat für die Verbrechen seiner Diener in die Pflicht nehmen wollten; und es war sicher auch der Grund, weshalb sich intelligente Menschen wie Ulrike Meinhof mit den Großstadtcowboys solidarisierten.***
Aber im November 1967, da kannte Ulrike Meinhof die Baader-Bande noch gar nicht. Überhaupt war Baader den bekannten Leuten der APO unbekannt. Nach meinen Informationen wurde Baader von einem V-Mann des Verfassungschutzes zu einer revolutionären Protesttat angestiftet, für die Kinder aus gutem Hause um Baader waren die Brandstiftungen, deren benötigtes Material vollständig von den Steuergeldern der Bunten Republik Deutschland finanziert wurden, eine Art Mutprobe. Für ihre Anstifter ging es um weitaus mehr, es war die geglückte Vorbereitung, endlich die Notstandsgesetze verabschieden zu können. Von daher versteht man auch die milden Urteile gegen Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein; sie hatten ihre Schuldigkeit für die Bunte Republik Deutschland getan.
Wir sehen also, die RAF hatte den Geburtshelfer Verfassungsschutz.
Natürlich konnte dieser nicht ahnen, daß Baaders Anwalt eben jener Horst Mahler war, der bereits ein Jahr zuvor eine (damals noch nicht braune, sondern) Rote Armee gründen wollte und trotz des Todes von Benno Ohnesorg auf taube Ohren gestoßen war. Horst Mahler adelte quasi die Großstadtcowboys indem er sie zu Stadtguerillas ernannte. - Und so nahm das Chaos seinen Lauf...
Die Frage, ob und inwieweit ein gesunder Rudi Dutschke (Photo) mit all seinem Charisma die Entwicklung der RAF beeinflussen oder gar deren Gewalttaten hätte verhindern können, muß natürlich offen bleiben. Ebensowenig gibt es Indizien, daß die Staatsschützer irgendetwas mit dem Anschlag auf Dutschke zu tun haben.

Machen wir einen Zeitsprung: 8.Mai 1976**** Ort: JVA Stuttgart-Stammheim. In einem Brief, den sie an diesem Tag verfaßt, schreibt Ulrike Meinhof nichts von irgendwelchen Selbstmordabsichten, sie schreibt: Morgen werde ich vor diesen Schweinen auspacken. -*****
Natürlich weiß jeder, daß die Post der Gefangenen überwacht und dieser Satz offenbar richtig verstanden wurde. Wir interpretieren: Nach der zermürbenden Haft, dem Prozeß, der Nichtanerkennung der RAF als politische Häftlinge sah Ulrike ihre letzte Chance in der gewissermaßen Flucht nach vorn. Wollte sie über die Machenschaften des Verfassungsschutzes, die möglicherweise viel tiefer in die RAF hinein wirkten als bekannt ist und hier dargestellt sind, auspacken? Wenn ja, dann war dies wohl der einzige Grund ihrer Ermordung.

HJS
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* Bei folgenden Ausführungen stütze ich mich auf Augenzeugen der Ereignisse, die teils inzwischen gestorben sind, deren Namen ich aber aus leicht nachvollziehbaren Gründen nicht nennen.
** Ich glaube, es gibt inzwischen sogar eine sogen. Einstweilige Verfügung, die untersagt, den Ohnesorg Mörder Mörder zu nennen.
*** Daß Ulrike, wie mir einst ein Jugendfreund von ihr erzählte, sich lediglich sexuell für Baader interessiert oder sich sogar in ihn verliebt haben soll, halte ich für eine Erfindung eben dieses Jugendfreundes, der noch Jahrzehnte nach Ulrikes Tod unter deren Zurückweisung litt. - Jedenfalls hat für manche Überlebende die RAF heute auch gewissermaßen romantische Züge.
**** Es ist sicher ZUFÄLLIG der 8.Mai, denn soviel zynisches Geschichtsbewußtsein trauen wir keinen Staatsschützer der Bunten Republik Deutschland zu, auch wenn er zum Mörder wird.
***** Die letzten Schriften Ulrike Meinhofs kann man selbstverständlich nicht offiziell im Buchladen erwerben. Ich habe hier frei aus dem Kopf zitieren müssen.

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