Freitag, 18. September 2009

Plastic People

Die Deutschen gehen nach wie vor mit dem Begriff Rassismus erschreckend inflationär um. Ich schreibe erschreckend, weil das Inflationäre des Vorwurfs die Probleme des Rassismus eher verschleiert, als es sie lösen kann.

Neuestes Beispiel (Ich zitiere aus Welt-online): Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) erwägt, gegen den NPD-Pressesprecher Klaus Beier vorzugehen. Der hatte Nationalspieler Mesut Özil von Werder Bremen rassistisch attackiert. Er hatte Dienstag im Rundfunk Berlin-Brandenburg erklärt, der türkischstämmige Özil sei "ein Plaste-Deutscher, sprich ein Ausweis-Deutscher".
Die Äußerung des NPD-Nik mag dümmlich sein, ist auf jedem Fall populistisch und sieht ihren Zweck darin, als solche zu provozieren, eines aber ist sie nicht: Rassistisch.
Wie gesagt, die Deutschen gehen inflationär mit dem Begriff um. Würde man beispielsweise deutsche Maßstäbe auf die Songtexte von Frank Zappa anwenden, so müßte ein Gutteil seiner Satyren wegen Rassismus beanstandet werden (siehe z.B. Jewish Princess); in den USA ist so etwas natürlich zu Recht lächerlich - und das trotz des bis vor wenigen Jahrzehnten wütenden Rassismus. In wie vielen Filmen reißen farbige Schauspieler heute billigste Nigger-Witze? Weshalb also kann der normale US-Amerikaner mit seiner Jahrhunderte dauernden rassistischen Geschichte offenbar besser umgehen als der Normaldeutsche mit seiner weitaus kürzeren? Zu einem der Gründe äußern wir uns im Beitrag §130 StGB vom 29. August.
Was also ist Rassismus? Und warum ist Plaste-Deutscher zwar DDR-deutsch (Westdeutsch müßte es Plastik-Deutscher heißen) aber kein rassistischer Ausdruck?
Meiner erste Bekanntschaft mit dem Ausbruch von spontanen (im Gegensatz zu staatlich verordneten) Rassismus fällt in die Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts und ereignete sich in der DDR. In meiner Geburtsstadt am Rande des Erzgebirges wurde eine Fabrik mit Hilfe von französischen Gastarbeitern errichtet, im wesentlichen waren die Arbeiter algerienstämmige Franzosen. Bereits vor ihrer Ankunft hörte man an jedem Ort der Stadt immer wieder nur den einen einzigen Satz: Jetzt kommen die Neger und nehmen uns unsere Frauen weg!
In diesem stereotypen Satz liegen die Wurzeln des Rassismus zum greifen nahe. Welche Assoziationskette brachte in den Köpfen der Normal-Ossies die Neger mit ihren Frauen zusammen, längst bevor es überhaupt zu Kontakten zwischen diesen beiden Personengruppen kam?
Nun gab es in der DDR-Provinz wenige afrostämmige Menschen. Die Angst vorm Schwarzen Mann hatte ich selbst erlebt, als ich im Alter von zwei oder drei Jahren den ersten Farbigen sah. Diese kindliche Angst vor dem Unbekannten ist normal und verständlich; wird sie konserviert, ist sie noch im Erwachsenenalter da, so spricht man von infantilem Verhalten. Was konkretisiert diese infantile Angst in unserem Falle? Nehmen die Neger uns unsere Frauen etwa mit Gewalt weg? Nein, daran dachte keiner der besorgten Ossies, vielmehr unterstellten sie ihren Frauen pauschal, daß diese das für sie als Männer Beängstigende als Reiz empfinden könnten und somit (vielleicht auch gängigen albernen Klischees folgend) sich von den Negern freiwillig nehmen ließen. Zu der infantilen Angst gesellte sich also ergänzend das Minderwertigkeitsgefühl.
Diese beiden Faktoren lösen jeden Ausbruch von spontanem Rassismus aus. Man kann es leicht überprüfen.
Hat also unser NPD-Nik Angst vor Mesut Özil und/oder ihm gegenüber Minderwertigkeitsgefühle? Letzteres läßt sich nicht ausschließen, vielleicht wollte Jung-Beier selbst Fubballprofi werden und landete statt auf dem grünen Rasen im braunen Morast?
Uns interessiert das Populistische dieser Aussage Plaste-Deutscher, sprich ein Ausweis-Deutscher mehr.
Zum einen greift der NPD-Politiker damit die Gesetzgebung der Bunten Republik Deutschland an, die - nach langem Kampf übrigens - heute Menschen, die in diesem Land geboren sind, die deutsche Staatsbürgerschaft verleiht.
Zum anderen findet sich in der Äußerung Beiers ein andere Wahrheit wieder: Wie leicht fällt es heute wirklichen Ausländern (nicht nur in Deutschland) die Staatsbürgerschaft ihres Gastlandes zu erwerben, sind sie Spitzensportler! Ein ukrainischer Boxer wird genau so leicht eingemeindet wie ein österreichischer Dopingsünder, stemmt dieser seine Gewichte nun für Deutschland zur Goldmedaille... Auf der anderen Seite werden politische Flüchtlinge wie Dreck behandelt und im Zweifelsfalle an ihre Henker ausgeliefert.
Leider meint die NPD diesen Mißstand nicht, wenn sie ihren Sprecher von Plaste-Deutschen reden läßt, sie will lediglich durch Provokation Stimmen fangen - und erhält von allen Medien die damit erwartete publicity.
Das Wort gefällt uns trotzdem. Sollten wir in Zukunft vielleicht jene Spitzensportler Plastik-Deutsche nennen, die deshalb eingebürgert werden, weil ihre Großeltern in der Sowjetunion oder in Polen oder in Österreich mal einen deutschen Schäferhund besessen haben?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen