Donnerstag, 13. August 2009

Erinnerungen an die DDR

Aus den unveröffentlichten Memoiren des Heinrich S. Ehrenberg (sen.), geschrieben um 1999.
Ehrenberg erinnert sich an eine Jugendliebe im Erzgebirge:

...Und überhaupt, die so­zialistische Moral unterschied sich be­kanntlich von der bürgerlichen nur durch das Präfix klein und durch ihre wun­derschö­nen Eu­phemis­men, hier Wunschkind- (= positiv), dort – jenseits des Antifa­schisti­schen Schutzwalls – An­tibaby- Pille (= ne­gativ)... Und Jungmädel Elektra nahm die kostenlos verab­gabte Wunsch­kindpille stolz entgegen und fühlte sich dank Eh­renberg mit ihren sech­zehn Jah­ren bereits als Frau im Sozialismus...
Ehrenbergs Gedanken gingen zurück zu einem schönen Frühsommertag, als er zu Gast war in Elektras Heim in jener erzgebirgischen Kleinstadt, in der man noch 1979 bei ei­nem al­tersdebilen Schreibwarenhändler ungestraft Bücher aus der NS-Zeit zu den aus­ge­zeichneten Reichsmarkpreisen erwerben konnte. Hanns Johst spricht zu Dir hatte er hier für 3,25 Mark ge­kauft, Will Vesper, Hans Grimm und Tore Hamsuns Mein Vater von 1940. Das war der real existie­rende Sozialismus, dachte Ehrenberg grimmig und erin­nerte sich an Arisbes Mann, der aus politi­schen Grün­den eingefah­ren war und bei dem es – laut Ur­teils­begründung – straf­ver­schär­fend gewirkt hatte, daß sich bei der Hausdurchsu­chung Bü­cher von Schopen­hauer und Nietz­sche fanden... Hier, in Elektras Hei­matstadt, wurden noch Jahre spä­ter Nazischriftsteller angeboten. Jeder in der Ge­gend wußte es und keiner ging dage­gen vor, weil überdurch­schnittlich viele SED-linge des Or­tes bibliophil ver­anlagt wa­ren, an ihrer Spitze Elektras Vater. Gönner­haft fiel er an diesem durch die obli­gate Erdbeertorte, die Elektras Mutter un­ge­zählte Male von den Früchten der hauseigenen Gartenbeete zubereite und kre­denzte, versüßten Tag Ehrenberg um den Hals und ver­sicherte dem sich als an­ge­henden Theologiestu­denten Offen­baren­den, er sei ihm jen­seits aller klassenge­gen­sätzlichen Bar­rieren auch als sol­cher in der Familie will­kommen. Lächerlich er­schien Ehrenberg diese Rührszene damals wie heute. – Nein, um diesen ehema­li­gen Stasi-Offizier mußte er sich keine Sorgen machen, er gehörte zu jener – in Ja­cob Burck­hardts Ter­mi­nologie – Art der Halte­fest, Raubebald und Eilebeute, die jede – auch die fried­lichste – Re­volution unbe­schadet überstehen, sich mit den neuen Machtha­bern ar­ran­gieren und den Regime­wechsel nie als Bruch ihrer Kar­riere empfinden, an ihr letztend­lich verdienen, weil... Ja, weißderteufel! Wußte Ehren­berg denn nicht schon da­mals, daß dieser Mensch einen Großteil seiner Bü­cher skrupelfrei von Republik­flüchtlingen über­nommen respektive von jenen zu ei­nem Spott­preis ge­kauft hatte, die ob ihrer Ab­sicht, die DDR zu verlas­sen, ge­zwungen wur­den, ihre Bibliothek zu veräußern? Wenn schon. Macht- und Ge­winn­verteilung liegen in jedem System in den gleichen Händen. Mag sein, daß er damals mißbil­li­gend dar­über hinwegsah, heute akzep­tierte es Ehren­berg als Nor­malität. Und hatte er sich nicht selbst auf unlautere Art bereichert, indem er das eine oder an­dere Buch dem Volksbuchhan­del entwendete, abgesehen davon, daß er bei der Leipzi­ger Buch­messe den Klas­senfeind auf die gleiche Art schädigte? – Das eine wie das andere ge­hörte zum DDR-Alltag; und wahrscheinlich hinter­fragte er sein Ver­halten und seinen Um­gang zu jener Zeit überhaupt noch nicht. Ehrenberg ent­sann sich, daß es ihm, der sich selbst als Staatsgegner definierte, keine Probleme berei­tete, jahre­lang im hei­matli­chen Club der Intelligenz zu ver­kehren, einer an­sich schon ana­chroni­stischen Einrich­tung des Arbeiter-und-Bau­ern-Staates. Hier traf er mitunter all­abendlich mit vielen SED-Emblem-Ge­schmückten zusammen, die in puncto Gul­dur den Ton im Kreis anga­ben. Unter ihnen befand sich ein Großteil jener Lehrer, die er als Schüler, nicht zu­letzt ob ih­rer unerbittlichen Staatstreue, gehaßt hatte. Nun lernte er sie privat und von einer völlig neuen Seite kennen. Und Eh­renberg rannte nicht vor diesen Op­portunisten­schwei­nen davon. Weißder­teufel, nein. Er, der zu jener Zeit bereits vom Stasi Ob­servierte, soff mit ihnen um die Wette; und die Ge­nossen vertrugen viel, im Erz­gebirge traditions­gemäß be­son­ders. Es war eine gute Schule der Trinkfe­stigkeit, die ihn später bei vielen Ge­le­genheiten zupaß kam...
...Er versuchte, die Spirale seiner Erinnerung noch weiter zurückzuschrauben, er­kannte vernebelt Inneneinrichtung und Gestalten jenes obskuren Club der Intelli­genz, in dem sich selbstverständlich stets der eine oder andere Informelle Mitar­beiter an seiner Tar­nung zu erkennen gab, in den sie beide aus verschiedenen Gründen eigentlich nicht hin­gehörten. In diesem Paradoxon hatten sie sich wahr­scheinlich kennenge­lernt, Hein­rich und Elektra, hier, wo Ehrenberg durch einen bi­bliotheksleitenden und somit staatstra­genden Alkoholiker zu Thomas Wolfe, ei­nem seiner späteren Lieb­lingsschrift­steller, hin­geführt worden war, hier, wo an manch einem Abend eben er­innerte Op­portunisten­schweine ungeniert um die Bü­cher schacherten, denen sie in den nächsten Tagen, so ein Bedarf unter den Genos­sen vorhanden, die Ausreise ver­weigern woll­ten... Die zumeist mit einer klappri­gen Erika in dreifacher Ausführung erstellten Li­sten gingen ohne Wissen und Bil­ligung ihrer Schreiber von der einen al­koholschweiß­feuchten Hand eines Gul­dur­schaffen­den zur nächsten, mit ihren drei Kreuzen requi­rierten sie den für sie inter­essan­ten Nachlaßteil des für die Gemeinde des DDR-Sozia­lismus Gestorbe­nen... – Jahre später, schweiften Ehrenbergs Erinne­rungen ab, da hat­ten Tekmessa und er selbst diese Listen verfassen müssen, in dreifa­cher Ausfertigung auf seiner schwe­ren Ro­botron-Ma­schine, die er wiederum Jahre später in die nun ehemalige DDR zurück­schenkte, um ei­nen der vielen armen Lyriker dieser Ex-Repu­blik da­mit die Freu­dentränen in die Augen zu treiben. Großzügig war Ehrenberg, weiß­derteufel! Und diese Großzügigkeit hatte ihn auch nach der Wider­vereinigung verboten, nach je­nen ihm – im Gegensatz zu denen sei­ner Ge­burtsstadt – nicht na­mentlich bekannten Kulturschaffenden der ehemaligen Haupt­stadt des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden zu fahnden, die für sich sei­nerzeit Wittgen­stein, Wil­helm Reich, die Thomas-Mann- und Ste­fan-Ge­orge-Erstausgaben oder den Ham­sun aus seiner Bibliothek requiriert hatten. Zumindest sein geliebten Knut Ham­sun war inzwischen dank der billigen Trödler im Wed­ding rei­cher denn je heimge­kehrt; auf den Rest konnte er ohnehin ver­zichten, ge­stand er ein ...
Club der Indolenz, so griff er die Paraphrase seiner Jugend auf und ließ damit diese Einrichtung seiner Geburtsstadt paradigmatisch werden für alle ge­schlos­se­nen Saufanstalten. Mehr war wohl dieses Etablissement im Grunde auch nicht ge­wesen, deren Besucher herablassend auf die Draußenstehenden äug­ten: Prolos – ob­wohl oder gerade weil dieser Begriff im Arbeiter-und-Bauern-Jar­gon nie Wurzeln fas­sen konnte –, von denen die sich gleicher als gleich fühlenden Kul­tur- und anderen Bonzen weder beim Saufen und Fressen über die Schulter, noch bei ihren Intrigen­spielen in die Karten gucken lassen wollten. Und über­haupt, gab es nicht ungezählte als Club der Werktäti­gen getarnte Kneipen, die na­türlich ihrer­seits die sich gleicher als gleich Fühlenden nicht draußen vor der Tür stehen ließen, waren doch auch die Kultur- und Politikschaffenden laut offizi­eller Definition eben nicht zuletzt deshalb gleicher als gleich, weil sie bei Bedarf auch als Werktätige gelten durften...

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